Fahrradstraße

Ein schrilles Klingeln zerreißt die Stille. Ein Radfahrer weicht einem lieblos abgestellten Anhänger aus – mitten auf der frisch eingeweihten Fahrradstraße.
Markdorf hat ein Verkehrsproblem – das dürfte jedem, der entweder durch die Stadt fährt oder dort lebt, bewusst sein. Im Endeffekt gibt es zwei Verkehrsachsen durch die Stadt: Zum einen die B33 zwischen Ravensburg und Konstanz, zum anderen die L205 und L207, die Bermatingen mit Friedrichshafen verbinden. Natürlich folgt der Verkehr nicht streng diesen Adern, sondern verästelt sich und nimmt seine eigenen Wege.
Heute fokussiere ich mich auf die Nebenstrecke Grivitenstraße, Hahnstraße und Eisenbahnstraße. Meiner Theorie nach ist das der heimliche Bypass, um dem Verkehrskollaps auf den Hauptadern zu entfliehen. Auf der L205 und der B33 wurde währenddessen fleißig geblitzt, während die oben erwähnte Nebenstrecke größtenteils als „schnelle“ Alternative akzeptiert wurde. Ja, es wurden halbherzig Maßnahmen zur Reduktion der Fließgeschwindigkeit eingeführt, und die parkenden Autos haben ihr Übriges dazu beigetragen, dass man nicht wirklich schneller als die zulässigen 30 km/h fahren konnte.
Das Ganze sollte sich am 4. August 2025 ändern. Das ist quasi der Tag Null der Fahrradstraße. Sie erstreckt sich nun über die Grivitenstraße, Hahnstraße und die Eugenienstraße. Soweit ich informiert bin, soll sie im Schießstattweg noch weitergeführt werden.
Die ersten Reaktionen im Viertel ließen nicht lange auf sich warten. In einem Nebenast der neuen Fahrradstraße versammelten sich die Anwohner noch am selben Tag spontan auf dem Gehweg, um über ihre Eindrücke zu reden. Gesprächsfetzen wehten durch die Sommerluft:
„Ich gehe morgen direkt aufs Rathaus und geige denen mal ordentlich meine Meinung!“ – „Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir aus unserem Vorgarten einen Parkplatz machen können, damit wir unsere Autos auch parken können.“


Und dann war da noch der allgegenwärtige Anhänger, der mitten in der Straße stand wie ein trotziges Statement. Einer schlug vor, ihn kurzerhand auf den Gherenberg zu schleppen – Guerilla-Taktik gegen einen Besitzer, der sich weder durch Gespräche noch durch Bußgelder vom Umparken überzeugen ließ.

Ja, was machen wir nun mit dieser Fahrradstraße? Ich glaube, das haben sich die Anwohner auch gefragt. Im Endeffekt ein Paradebeispiel für Changemanagement – oder wie man es eben nicht macht. Laut einigen Lehren sind es sieben Phasen, die durchschritten werden.
7 Phasen bei der Einführung einer Fahrradstraße im Wohngebiet #
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Schock
Reaktion: „Wie? Hier dürfen bald kaum noch Autos fahren?“
Maßnahmen:- Persönliche Anwohner-Infos in den Briefkasten.
- Einfache Skizzen: So sieht die Straße bald aus.
- Ansprechpartner mit Foto und Kontaktdaten vorstellen.
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Verneinung / Ablehnung
Reaktion: „Das betrifft mich nicht.“ oder „Das machen die nur für ein paar Radfahrer.“
Maßnahmen:- Sicherheit für Kinder und ältere Menschen betonen.
- Andere Beispiele aus ähnlichen Wohngebieten zeigen.
- Frühzeitiger, lockerer Infotreff (z. B. am Spielplatz oder Kiosk).
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Widerstand / Frustration
Reaktion: „Wo soll ich denn jetzt parken?“ / „Das ist unpraktisch.“
Maßnahmen:- Konkrete Lösungen für Alltagsprobleme anbieten (z. B. Kurzzeitparkzonen, Liefermöglichkeiten).
- Gesprächsrunden vor Ort, moderiert und offen.
- Eventuell eine Testphase mit Beobachtung und Feedback.
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Tal der Tränen
Reaktion: „Früher war’s einfacher…“
Maßnahmen:- Regelmäßige Info: Was ist schon fertig, was kommt noch?
- Erste sichtbare Verbesserungen hervorheben (ruhiger, sicherer, sauberer).
- Kleine Aktionen, z. B. „Kaffee am Kiosk“-Tag oder Straßenbank zum Verweilen.
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Akzeptanz / Ausprobieren
Reaktion: „Mal schauen, wie das jetzt ist, mit dem Rad zu fahren oder draußen zu sitzen.“
Maßnahmen:- Nachbarschaftsaktionen: Straßenflohmarkt, Spielstraße, Picknickbänke.
- Kiosk oder Treffpunkt einbeziehen (z. B. Rabattaktionen, Eis-Tag).
- Feedback-Box oder Online-Umfrage zur Verbesserung.
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Erkenntnis / Einsicht
Reaktion: „Eigentlich ist es jetzt angenehmer und sicherer.“
Maßnahmen:- Fotos vorher/nachher veröffentlichen (Aushang, Online-Gruppe).
- Geschichten von Anwohnern teilen („Ich lasse die Kinder jetzt allein zum Kiosk fahren.“).
- Nutzung durch verschiedene Gruppen sichtbar machen.
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Integration / Commitment
Reaktion: Fahrradstraße ist Alltag, viele möchten sie nicht mehr missen.
Maßnahmen:- Regelmäßige Nachbarschaftstreffen oder Feste in der Straße.
- Pflege und Verschönerung gemeinsam organisieren (Blumenkübel, Bänke).
- Projekt als Beispiel für andere Straßen nutzen.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen wurden nur bedingt umgesetzt – zumindest hat mich lediglich die Information in der aktuellen Ausgabe des Amtsblatts KW 32–34/2025 erreicht. Dabei bin ich zwar betroffen, aber kein direkter Anlieger.
Wie geht es mir dabei? Ich bin immer noch irgendwo in Phase 4 und 5. Ich sehe die Vorteile: Der Verkehr hat sich gefühlt reduziert, auch wenn man durchaus noch ein paar Hardliner dabei beobachten kann, wie sie sich über das Parkverbot außerhalb gekennzeichneter Flächen hinwegsetzen oder als Ortsfremde das „Anlieger frei“ großzügig interpretieren.
Ich für meinen Teil denke, am Ende hilft es den Anliegern. Langfristig sollte der Verkehr auf diesen Ausweichstrecken nachlassen, was dazu führt, dass die Hauptstrecken noch unattraktiver werden – oder sich neue Schleichwege bilden. Und vielleicht wird dann der lieblos abgestellte Anhänger vom Anfang dieser Geschichte nur noch eine Erinnerung an die Anfangszeit der Fahrradstraße sein.
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